Schmerzen und Psyche

Psyche und akute Schmerzen

Akute Schmerzen können in der Regel auf eine Verletzung oder organische Störung zurückgeführt werden, bei chronischen Schmerzen ist dies meist allerdings nicht immer möglich. So lassen sich beispielsweise bei Klienten mit Rückenschmerzen in 80 – 90 % der Fälle keine Störungen am Bewegungsapparat finden. Mit anderen Worten ausgedrückt, hier scheint die Psyche eine wesentliche Rolle in der Entstehung der Schmerzen zu spielen. Inwieweit die chinesische Medizin hier eine Unterstützung zur Schmerzlinderung anbietet, soll im weiteren Thema sein.

Psyche, chronische Schmerzen und körperliche Reaktionen

Jeder Mensch reagiert auf Stress in ähnlicher Art und Weise. Durch die Stresshormone erhöht sich die Atmung, der Herzschlag und die Muskulatur bereiten sich auf Kampf oder Flucht vor. Der Körper stellt außerdem Energie für die Muskulatur bereit. Gleichzeitig dämpft diese Stressreaktion die Verdauung, die Schmerzwahrnehmung sowie das emotionale Erleben. Der Körper wird dadurch weniger sensibel für Verletzungen, da sie nicht wahrgenommen werden. Dies ist sinnvoll, ermöglicht es doch eine starke Kampf- oder Flucht-Reaktion. Entsprechend dem evolutionären Erbe der Menschheit waren dies überlebensnotwendigen Reaktionen auf eine potenzielle Bedrohung.

Die Bewegung durch Kampf oder Flucht entlädt dann die im Körper angesammelte Energie und die Anspannung kann sich lösen. Dies ist heutzutage häufig nicht möglich, da Stress in der Regel einfach ausgehalten wird. Dadurch entsteht das sogenannte Zirkelproblem der Stressreaktion (siehe Abbildung).

Schmerzen lösen häufig eine Stressreaktion aus, welche wiederum Schmerzen auslösen kann.

Zirkelproblem der Stressreaktion

Kann sich die Muskelspannung nicht lösen, treten in der Folge Verspannungen mit Schmerzen auf – häufig dann, wenn der Körper zur Ruhe kommt. Der Grund liegt darin, dass die Kampf- oder Flucht-Reaktion nicht stattfand und die Muskulatur allerdings noch maximal in Spannung ist. Gleichzeitig steigt während der Entspannung auch wieder Schmerzwahrnehmung. Die Folge ist, dass erst in der Ruhe die eigentliche Muskelspannung als schmerzhaft wahrgenommen wird. An diesem Punkt wird es nun kritisch.

Wenn auf diesen Verspannungsschmerz ein emotionale Reaktion folgt, sorgt dies möglicherweise dafür, dass ein sich selbst erhaltender Kreislauf entsteht. Das sogenannte Zirkelproblem der Stressreaktion. Die Schmerzwahrnehmung fördert Stress, welcher Verspannungen und daraus resultierende Schmerzen fördert, welche wiederum Stress fördern. Da hier körperlich keine Erkrankung als Ursache festzumachen ist, kann dieses Zirkelproblem lange bestehen, wodurch chronische Schmerzen entstehen können.

Als Ursache lässt sich daher Stress und ganz entscheidend die Reaktion darauf festmachen. In Folge der Schmerzen reagieren viele Betroffene mit einer Schonhaltung, Vermeidungsverhalten sowie mit emotionalem Rückzug. Was meist die Beschwerden allerdings nicht lindert.

Chinesische Medizin und die Psyche

Die chinesische Medizin hat ein anderes Verständnis der Zusammenhänge zwischen Körper und Geist als die Humanmedizin. Die Trennung, Geist und Körper ist, im Sinne der chinesischen Medizin, nicht vorhanden. Empfindung und der Körper beeinflussen sich permanent gegenseitig. Ein wesentlicher Begriff, der den westlichen Begriffen Seele und Geist am nächsten kommt, ist aus dem chinesischen Shén (神).

Das Sinnbild für Shén ist dabei ein klarer Bergsee. Dieser nimmt alles auf, spiegelt alles und kommt immer wieder zur Ruhe. Emotionen werden so von Shén rezeptiv wahrgenommen, haben aber immer auch einen körperlichen Anteil. Wobei Körperarealen bestimmte Emotionen zugeordnet werden.

Der Geist sollte so ruhig sein wie ein Bergsee.

Emotionen als Ursachen für chronische Schmerzen – chinesische Medizin

Im Sinne der chinesischen Medizin wirken sich Emotionen nicht nur auf das Empfinden aus, sondern auch immer unmittelbar auf den Körper. Daher lassen sich in Teilen über die körperlichen Beschwerden Rückschlüsse auf die dahinter liegenden Emotionen ziehen. Wobei die chinesische Medizin immer über den Körper behandelt. Der Körper ist daher immer ein Verbündeter. Häufig lösen die Emotionen dabei erst dann im Körper Beschwerden aus, wenn sie auf der seelischen Ebene keinen Ausdruck finden. Im Sinne der chinesischen Medizin zeigen sich hier die körperlichen Reaktionen meist im Verlauf der Leitbahnen.

Durch die wechselseitige Beziehung zwischen Körper und Geist können über die Behandlung des Körpers auch Gefühle wieder ins fließen kommen. Die thematische Auseinandersetzung mit dem Ursprung des Stresses liegt dabei im Gespräch mit der Familie, Freunden oder wenn notwendig mit einem Psychotherapeuten. Psychotherapie und Akupunktur ergänzen sich hier. Mehr zu diesem Thema findet sich im Artikel über depressive Verstimmung. Häufige Schmerzmuster und die häufig dahinterliegende Emotion:
  • Sorge und Ängstlichkeit – Zeigen sich häufig durch Verdauungsbeschwerden, Muskelschwäche und Erschöpfung.
  • Trauer und Kummer – Führen häufig zu Beschwerden im Brustkorb oder im Nackenbereich. Insbesondere ein nervöses Husten, ein Druckgefühl oder ein Kloß im Hals.
  • Wut, Frust – Insbesondere Nackenverspannungen und ein verspanntes Zwerchfell mit einer flachen Atmung weisen auf Wut hin.
  • Schock – Schwäche im Rücken und in den Knien, häufig mit einem dumpfen Schmerzcharakter
Lang anhaltender Frust und Ärger zeigt sich häufig in Nackenverspannungen und Verdauungsbeschwerden.

Auswirkungen von Schmerzen auf die Psyche

Anders herum ist es natürlich ebenso, dass Schmerzen einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Gefühle haben können. Sei es dadurch, dass Frust aufkommt, Wut entsteht oder Sorgen aufkommen. Anders ausgedrückt Schmerzen lösen die Stressreaktion aus. Auch wenn in diesem Fall die Ursache der Schmerzen klar auszumachen ist, kann es auch hier zum Zirkelproblem der Stressreaktion kommen. Hier überlappen sich daher der Verspannungsschmerzen durch die Stressreaktion und die dafür ursächlichen Schmerzen, beispielsweise Magenschmerzen oder Schmerzen im Ellenbogengelenk. Die chinesische Medizin nutzt daher in der Schmerztherapie einen multimodalen Ansatz um auf verschiedenen Ebenen Schmerzen zu lindern und zu behandeln.

Behandlung von Menschen mit chronischen Schmerzen und der Psyche

Die chinesische Medizin kennt vier diagnostische Verfahren, welche genutzt werden können, um die Ursache von Schmerzen ganzheitlich zu erfassen. Neben der Anamnese, werden Puls und Zunge begutachtet sowie die Leitbahnen untersucht. Ausgehend von dieser Untersuchung ergibt sich eine Behandlung, welche bei jedem Klienten individuell ist.

Es kann hier zunächst therapeutisch sinnvoll sein, erst das Nervensystem zu entspannen und dann die Schmerzen direkt zu behandeln. Bei einem anderen Klienten kann der Schwerpunkt auch anders gewichtet sein. Daher ist eine Behandlung im Sinne der chinesischen Medizin immer auch ganzheitlich ausgerichtet und prozessorientiert.

Durch die therapeutischen Verfahren der chinesischen Medizin wie die Akupunktur und Arzneirezepturen wird die Stressreaktion im Körper gelindert. Als Folge davon können sich langsam die Emotionen lösen und ins fließen kommen. Gleichzeitig lindert die Akupunktur als Schmerztherapie die Schmerzen und fördert das körperliche Wohlbefinden.